Berliner Tageblatt - Spitzenverbände warnen vor akuter Finanznot der Kommunen: Diesmal ist es ernst

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Spitzenverbände warnen vor akuter Finanznot der Kommunen: Diesmal ist es ernst
Spitzenverbände warnen vor akuter Finanznot der Kommunen: Diesmal ist es ernst / Foto: © AFP/Archiv

Spitzenverbände warnen vor akuter Finanznot der Kommunen: Diesmal ist es ernst

Kommunale Spitzenverbände haben mit eindringlichen Worten vor einer akuten Finanznot der Kommunen gewarnt und rasche Weichenstellungen nach der Bundestagswahl gefordert. "Die neue Bundesregierung wird große Räder drehen müssen, damit die Kommunalfinanzen nicht komplett zusammenbrechen und die Städte endlich wieder vor Ort gestalten können", sagte der Präsident des Deutschen Städtetages, Markus Lewe (CDU), am Montag in Berlin. Ähnlich äußerte sich auch der Deutsche Landkreistag.

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Lewe verwies darauf, dass schon jetzt vielerorts die Einschnitte in die städtischen Leistungen erheblich seien. Weiter sagte der Oberbürgermeister von Münster, eine neue Blitzumfrage in den deutschen Städten "erschreckende Ergebnisse" geliefert. Nur noch zwei Prozent der Städte bewerteten ihre finanzielle Lage in der Gegenwart und den kommenden fünf Jahren gut oder sehr gut, 95 Prozent dagegen schlecht oder sehr schlecht. 37 Prozent der Städte können keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorlegen, weitere 47 Prozent schafften einen ausgeglichenen Haushalt nur, indem sie auf finanzielle Rücklagen zurückgreifen.

100 Großstädte nahmen an der Umfrage teil. Für Lewe zeigen die Ergebnisse "überdeutlich, dass Bund und Länder nach der Bundestagswahl dringend für eine Trendwende sorgen müssen". Er forderte den Bund auf, dass keine neuen Aufgaben mehr an die Städte weitergegeben werden, die nicht finanziell gedeckt sind. Außerdem müsse die Schuldenbremse erneut auf den Prüfstand gestellt werden.

Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) nannte die Finanzlage der Städte "sehr, sehr alarmierend". An fast allen Stellen werde bei städtischen Leistungen "eingefroren oder gekürzt", sagte Jung. "Die gesamte Angebotspalette steht auf dem Prüfstand." Er nannte zum Beispiel die Bereiche Schulen, Kultur, Sport, Soziales. "Diesmal ist es wirklich ernst", sagte Jung.

Bonns Oberbürgermeisterin Katja Dörner (Grüne) gab zu bedenken, dass besonders die derzeit unter großem Druck stehenden Bereiche wie Kultur und Sport diejenigen seien, "die eine Stadtgesellschaft zusammenhalten". Gerade diese müssten eigentlich gestärkt werden.

Städtetags-Präsident Lewe mahnte auch Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur an. Im öffentlichen Nahverkehr gebe es immer mehr Städte, die ganze Linien nicht mehr betreiben können. "Wir brauchen dringend Investitionen in den Erhalt und in die Zukunft", sagte Lewe auch mit Blick auf die teils marode Straßen- und Brückeninfrastruktur. Derzeit fließe etwa die Hälfte seines Budgets in soziale Transferleistungen.

Der Deutsche Landkreistag warnte ebenfalls vor einem Finanzkollaps der Kommunen. "Aus unserer Sicht brauchen wir einen echten Ruck für die kommunale Ebene", sagte der Hauptgeschäftsführer des kommunalen Spitzenverbands, Hans-Günter Henneke, dem "Handelsblatt". Er wies darauf hin, dass in vielen Landkreisen die Rücklagen inzwischen zu 80 Prozent aufgezehrt seien. "Ohne Stopp des Ausgabenwachstums und einer Stärkung der kommunalen Einnahmebasis droht den Landkreishaushalten der Kollaps".

Konkret schlug Henneke vor, den Anteil der Kommunen an den Einnahmen aus der Mehrwertsteuer zu verdreifachen. Aktuell beträgt dieser 2,2 Prozent des Steueraufkommens, der Rest geht an Bund und Länder. Zudem verlangte Henneke eine grundlegende Neuausrichtung des Sozialstaats.

Die Caritas sprach angesichts der Finanznot der Kommunen von einem "extremen Risiko" für Menschen, den Rechtsstaat und die soziale Infrastruktur. "Alle sogenannten „Freiwilligen Leistungen“ sind ernsthaft bedroht – dies betrifft vielfältig die Arbeit, die die Wohlfahrtsverbände als Ganzes und wir als Caritas in unseren Einrichtungen und Diensten leisten", erklärte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Defaa. Die Löcher, die gerissen würden, seien "Löcher sozialen Zusammenhalts".

Welskop-Defaa warnte: "Ob wir die Türen der dringend nötigen Angebote offenhalten können, ist an vielen Orten unklar, wenn sich an der finanziellen Lage der Kommunen nicht schnell etwas ändert." Die nächste Bundesregierung werde die Aufgabe haben, dafür Sorge zu tragen, dass die Angebote "gut verknüpft wirksam bleiben, damit bei allen Sparzwängen das Versprechen des Sozialstaats für alle gültig bleibt."

T.Bondarenko--BTB