Berliner Tageblatt - Schuldenregeln: Europa wartet auf deutsch-französischen Kompromiss

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Schuldenregeln: Europa wartet auf deutsch-französischen Kompromiss
Schuldenregeln: Europa wartet auf deutsch-französischen Kompromiss / Foto: © AFP

Schuldenregeln: Europa wartet auf deutsch-französischen Kompromiss

Der Europäischen Union läuft die Zeit für eine Einigung auf neue Schuldenregeln davon, aber Deutschland und Frankreich liegen weiter im Clinch. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagte am Donnerstag vor der vorerst letzten Verhandlungsrunde in Brüssel, er sei mit dem Willen zu einer Einigung angereist, es gebe aber noch Differenzen mit Paris. EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sieht die Chance auf eine Einigung bis zum Freitag deshalb nur bei "51 Prozent".

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Lindner betonte, die Europäische Union brauche "Fiskalregeln, die zu geringeren Defiziten, geringeren Schuldenständen führen und zugleich aber auch erlauben, dass Investitionen in die Zukunft möglich sind". Grundlage soll ein deutsch-französischer Kompromiss sein, über den der FDP-Politiker seit Wochen mit seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire verhandelt. Berlin und Paris stimmten zwar "zu 90 Prozent" überein, sagte Lindner. Die restlichen zehn Prozent könnten allerdings "sehr entscheidend sein".

Die Verhandlungen leitet Spaniens Wirtschaftsministerin Nadia Calviño, deren Land noch bis Jahresende den EU-Ministerräten vorsitzt. Sie stimmte ihre Kolleginnen und Kollegen auf eine "lange Nacht" ein. Die Beratungen sollten am Donnerstag mit einem Abendessen beginnen, das Ende war laut Calviño offen. Le Maire wollte erst kurz vorher anreisen.

Die EU-Kommission hatte im November 2022 eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts vorgeschlagen, um die gut 25 Jahre alten Schuldenregeln flexibler zu machen. Die Zeit drängt: Ohne Einigung treten die alten Regeln zum 1. Januar wieder in Kraft. Die EU hatte sie in der Corona-Pandemie ausgesetzt, um den Ländern Milliardenhilfen für die Wirtschaft zu ermöglichen.

Frankreich und südeuropäische Länder wie Italien fordern möglichst lockere Vorgaben, um Raum für Investitionen zu schaffen. Deutschland, Österreich und andere dringen dagegen auf einen verlässlichen Schuldenabbau, damit sich eine Eurokrise wie ab 2010 nicht wiederholt.

Frankreich und Italien gaben sich vor dem Treffen laut Diplomaten pessimistisch. Sie werfen Calviño vor, in ihrem jüngsten Kompromissvorschlag zu weit auf Lindner zugegangen zu sein.

Spekuliert wird über einen deutsch-spanischen Kuhhandel: Denn Calviño will Nachfolgerin von Lindners Parteifreund Werner Hoyer (FDP) an der Spitze der Europäischen Investitionsbank (EIB) werden, die Bundesregierung hatte ihr erst kürzlich Unterstützung signalisiert. Für die parteilose Spanierin steht einiges auf dem Spiel: Sollten Frankreich und Italien ihre Zustimmung verweigern, wäre Calviño durchgefallen.

Bei der Reform des Stabilitätspakts sollen die sogenannten Maastricht-Kriterien unverändert bleiben: Eine jährliche Neuverschuldung von maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und eine Gesamtverschuldung von höchstens 60 Prozent für jeden Staat.

Umstritten ist insbesondere die Frage, wie schnell Mitgliedsländer bei Verstößen ihre Defizite abbauen müssen. Lindner rief Frankreich und andere Länder erneut zu "mehr Ehrgeiz" auf. Le Maire hatte dagegen am Mittwoch in Paris auf einer größeren "Flexibilität" bestanden.

Nicht wenige Mitgliedsländer sind das deutsch-französische Gezerre leid. Gentiloni rief dazu auf, den Pakt nicht durch zahlreiche Änderungen wieder zu verkomplizieren. Alle wollten eine "Vereinfachung", dabei müsse es auch bleiben, mahnte der Italiener.

Die Finanzminister wollen am Freitag auch über ein anderes heikles Dossier abstimmen: 900 Millionen Euro für Ungarn als Vorfinanzierung aus dem Corona-Wiederaufbaufonds. Die Niederlande kündigten an, dem Vorschlag der EU-Kommission nicht zuzustimmen.

Zahlreiche Mitgliedsländer werfen dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban "Erpressung" vor. Dieser droht vor dem EU-Gipfel kommende Woche mit einem Veto gegen den Start von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und gegen weitere Milliardenhilfen für Kiew. Damit will er nach Überzeugung der anderen Mitgliedsstaaten 13 Milliarden Euro freipressen, die die EU wegen Rechtsstaatsverstößen in Ungarn eingefroren hat.

G.Schulte--BTB