Berliner Tageblatt - Regierungsbildung in Griechenland trotz Wahlsieg von Mitsotakis unklar

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Regierungsbildung in Griechenland trotz Wahlsieg von Mitsotakis unklar
Regierungsbildung in Griechenland trotz Wahlsieg von Mitsotakis unklar

Regierungsbildung in Griechenland trotz Wahlsieg von Mitsotakis unklar

Bei der Parlamentswahl in Griechenland hat Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis einen deutlichen Sieg eingefahren - die absolute Mehrheit aber verfehlt. Seine konservative Partei Nea Dimokratia (ND) kam nach Auszählung von mehr als 85 Prozent der Stimmen am Sonntagabend auf knapp 41 Prozent, die linksgerichtete Syriza-Partei von Alexis Tsipras lag bei gut 20 Prozent. Mitsotakis steht damit entweder vor schwierigen Koalitionsverhandlungen - oder er könnte einen erneuten Urnengang anstreben, um sich doch noch eine absolute Mehrheit zu sichern.

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Da die Partei von Mitsotakis trotz des klaren Vorsprungs von gut 20 Prozentpunkten die absolute Mehrheit im Parlament verfehlte, müsste er sich zum Regieren einen Partner suchen. Königsmacherin könnte theoretisch die gemäßigt linke Partei Pasok-Kinal von Nikos Androulakis werden, die auf gut elf Prozent der Stimmen kam. Androulakis hatte im März jedoch erklärt, er werde nur in eine Regierung eintreten, die weder von Mitsotakis noch von Tsipras angeführt werde.

Auch Mitsotakis selbst hatte vor der Wahl erklärt, keine Koalition bilden zu wollen. Er könnte deshalb auch erneute Wahlen anstreben - in einer ersten Reaktion am Sonntagabend deutete der 55-Jährige einen solchen Weg an: Der deutliche Sieg der ND sei ein "politisches Erdbeben", sagte der Wahlsieger. Dieses "ruft uns alle auf, den Prozess für eine definitive Regierungslösung zu beschleunigen". Die Griechinnen und Griechen wollten "eine starke Regierung".

Bei einem erneuten Urnengang würde der Wahlsieger laut den Regeln in Griechenland von einem Bonus profitieren, der ihm bis zu 50 zusätzliche Sitze und somit womöglich eine stabile Mehrheit verschaffen könnte. Vor der Äußerung von Mitsotakis hatte bereits sein Minister Takis Theodorikakos dem privaten Fernsehsender Skai gesagt, dass die Konservativen angesichts der Ergebnisse in einer zweiten Wahlrunde genug Stimmen erhalten könnten, "um die Reformen als unabhängige Regierung fortzuführen".

Auch Wahlverlierer Tsipras, der das Land von 2015 bis 2019 regierte, rechnet offenbar mit einem erneuten Urnengang. "Der Wahlzyklus ist noch nicht vorüber", sagte er nach der Veröffentlichung erster Ergebnisse. Der nächste Kampf werde "entscheidend" sein.

Und auch die Griechen insgesamt haben sich offenbar bereits auf einen solchen Weg eingestellt. Die Wahlbeteiligung betrug am Sonntag lediglich 58 Prozent - nach Ansicht von Experten sparten sich viele Menschen den Weg ins Wahllokal angesichts des schon im Vorfeld erwarteten möglichen weiteren Urnengangs.

Zu der Wahl waren fast zehn Millionen Stimmberechtigte aufgerufen, darunter 440.000 Erstwähler. Mitsotakis hatte die Wähler nach seiner Stimmabgabe in Athen dazu aufgerufen, die unter seiner Regierung hart erkämpfte wirtschaftliche Stabilität nicht aufs Spiel zu setzen. "Heute stimmen wir für unsere Zukunft, für mehr und bessere Arbeitsplätze, für ein effizienteres Gesundheitssystem, für ein stärkeres Land, das eine wichtige Rolle in Europa spielt," sagte der 55-Jährige.

Sein Hauptrivale und Amtsvorgänger Tsipras warnte hingegen, dass die rosigen Zahlen der Konservativen über die wachsende Armut in Griechenland hinwegtäuschten, die Löhne könnten mit den wachsenden Preisen nicht mithalten. Er sprach bei der Abgabe seiner Stimme von einem "Tag der Hoffnung" und rief die Wähler dazu auf, "vier schwierige Jahre" hinter sich zu lassen und sich im Namen einer besseren Zukunft für eine "faire Regierung" zu entscheiden.

Hauptthemen des Wahlkampfes waren Lebenshaltungskosten und Arbeitsplätze. Kaum eine Rolle spielte im Wahlkampf mehr der verheerende Frontalzusammenstoß zweier Züge im Februar, bei dem 57 Menschen ums Leben kamen. Die Regierung hatte das Unglück mit menschlichem Versagen begründet, obwohl Griechenlands berüchtigt schlechtes Bahnnetz unter jahrelanger Unterfinanzierung gelitten hat. Mitsotakis und seine Partei kostete die Zugkatastrophe in den Umfragen zunächst viele Stimmen. Je näher die Wahl aber rückte, desto mehr geriet das Thema in den Hintergrund.

H.Seidel--BTB